Letztes Jahr stellte sich mir die Frage: Muss ich als Yoga-Lehrer oder auch als Privatperson überall im Netz wie beispielsweise bei Instagram unterwegs sein?
Denn ich gehöre zu einer Generation, die sich nicht so ganz entscheiden kann, ob sie auf Instagram aktiv werden soll oder nicht. Klar, habe ich die gesamte digitale Entwicklung im Social Media Bereich mitgemacht. Von den Anfängen bei MySpace, Studi-VZ, Stayfriends und Facebook, den Business-Portalen bei Xing und Linked-In. YouTube, Instagram, Twitter, TikTok waren mir dann irgendwann einfach zu viel.
Was bringt mir das? Außer dass ich noch weniger Zeit für mein reales Leben habe? Verpasse ich etwas, wenn ich dort nicht aktiv bin? Ist die Welt dort besser, schöner, informativer? Ich habe mich mit Freunden darüber ausgetauscht und auch mit einigen meiner Schüler und bisher keine eindeutige Antwort gefunden. Dafür ist aber mehr als eine Frage über Instagram im Zusammenhang mit Yoga aufgetaucht, auf die ich keine Antwort habe.
Ich habe mich lange gegen Instagram gewehrt. Zum einen, weil ich dachte, das wäre nur wieder eine weitere zeitfressende Plattform, auf der man nach Likes sucht und Kommerz betreibt. Zum anderen gezwungenermaßen, weil ich ein ziemlich unspektakoläres Handy hatte. Ich konnte telefonieren, E-Mails schreiben, Whats-Appen, ein bisschen surfen und vor allem Fotos machen. Das reichte mir. Speichermäßig war ich begrenzt. Deswegen konnte ich dann irgendwann auch keine Apps mehr installieren und musste immer mehr Apps löschen. So auch Instagram. Ich war also lange Zeit ohne.
Mit neuem Handy eröffneten sich dann neue Möglichkeiten. Daher meldete ich mich wieder bei Instagram an. Richtete mein Profil ein und machte erst mal nichts. Später abonnierte ich ein paar Freunde und Yoga-Themen.
Und mit diesen Abos werden mir als gläsernem User und potenziellen Konsumenten bei Instagram zig neue Accounts und Posts vorgeschlagen. Natürlich habe ich mir diese alle fleißig angesehen.
Aber was soll ich sagen? Außer: Ich bin entsetzt.
Ist das die neue Yoga-Welt? Wollt ihr uns das wirklich so verkaufen?
Abgemagerte Hungerhaken und durchtrainierte Muskeltypen, die Akrobatik-Übungen aus dem chinesischen Staatszirkus als Yoga anpreisen? In durchgestylten Ganzkörper-Outfits für mehrere hundert Euro?
Diese selbstoptimierten, selbstverliebten, extrem lässigen Gummipüppchen und braungebrannten Cool-Water-Werbungs-Typen? Mit ihren 40-Tage-Yoga-Fettweg-Challenges, Spagat-Tutorials und stylisch dekorierten Yoga-Lofts, die sich durchweg mit irgendwas detoxen? Die sich ganz selbstverständlich an einem menschenleeren Strand verbiegen? Oder die ihre Yoga-Routine im Dschungel von Bali mit zufällig platzierten Buddha Deko-Artikeln im Hintergrund vorturnen? Im Ernst? Was hat das mit der Realität und vor allem mit Yoga zu tun?
Ist es das, was die Leute sehen wollen? Stellen sie sich so Yoga vor? Was macht das mit normalen Menschen, wie ich und du es sind?
Setzt uns diese Industrie nicht unter einen enormen Druck? Einen Druck, dem wir als Westler aus einem Industriestaat, mit einer Höher-Schneller-Weiter-Gesellschaft, mit totalem Konsum-Leben durch Yoga eigentlich entkommen wollen?
Ich kann für mich persönlich sagen: Das, was ich auf Instagram präsentiert bekomme, hat absolut nichts mit der Realität zu tun. Das ist auch kein Yoga. Und genauso sehen es meine Schüler.
Oder denkst du, die total gestresste 50-Jährige Mutter von drei schulpflichtigen Kindern mit Job und Haushalt hat auch nur annähernd das Verlangen, nach einem stressigen Tag jeden Abend auf Teufel-komm-raus Spagat zu erlernen, weil sie dann weniger gestresst ist?
Ich denke nicht.
Doch ich weiß nicht, ob sich andere ebenfalls die eine oder andere Frage im Zusammenhang mit Yoga und Instagram stellen. Solltest du dir jedoch auch nur eine Frage stellen, dann kannst du vielleicht auch für dich beantworten, ob Yoga auf Instagram wirklich das ist, was du gerne praktizieren möchtest.
Also, Leute, lasst euch nicht blenden. Jeder kann Yoga machen. Und jeder ist ein richtiger Yogi oder Yogini, so wie er ist und so wie er praktiziert. Und das ist genau richtig.
Egal ob du dick bist oder dünn. Ob du im Schlafzimmer zwischen Schrankwand und Bett deine Matte ausrollst oder im Garten hinter dem Geräteschuppen übst. Egal ob du groß oder klein bist. Ob du in gemütlicher Schlabberbux oder im organischen Recycling-Outfit Yoga machst. Egal ob du beweglich oder steif bist. Oder ob du einfach nur ganz „normal“ bist … Yoga ist für alle da.